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...möchte ich hier auf der Seite meine Eindrücke zurücklassen, wie ich das Leben mit Natalia und sie selbst empfinde und empfunden habe.
Wie wussten vor der Geburt nicht, dass Natalias Mutter ein Kind mit Down Syndrom unter dem Herzen trägt. Für mich war die Geburt ebenfalls nicht einfach: Kind ist entbunden, plötzlich Kind weg, Frau weg. Ich sitz irgendwie ratlos im Kreissaal. Die Mutter ist weg, wird versorgt wegen Dammriss, das Kind ist verschwunden, was ich zu dem Zeitpunkt ja nicht wusste, dass sie einen Herzfehler hat und beatmet werden musste...
Nachdem die Mutter versorgt und im Krankenhaus in einem Zimmer untergebracht war, das Kind mit dem Baby-Notarztwagen ins nächste Kinderkrankenhaus mit Intensivstation verlegt war, stand ich nun da.
Es war Weihnachten, ich war alleine, und ich musste mich erst mal mit dem Thema Down Syndrom beschäftigen. Die Feiertage verbrachte ich hauptsächlich in der Firma im Büro und mit Lesen im Internet. Irgendwie wollte ich nicht zu Hause sein...
Relativ schnell hatte ich für mich realisiert, dass nun doch keine Welt zusammenbricht und fasste den festen Entschluss, das Positive in den Vordergrund zu rücken: Meine Tochter kann mit entsprechender Förderung durchaus eine ansehliche Entwicklung machen. Sie kann Gehen und Reden lernen, entsprechend ihrer weiteren Entwicklung wollte ich mir keine Gedanken machen, nein, einfach abwarten was kommt und das Beste daraus machen. Das war ein erster Lernschritt für mich, der mein ganzes folgendes Leben prägen sollte:
Du kannst nicht alles planen, das Leben ist nicht planbar!!!
Diese Erkenntnis habe ich heute noch, sie macht nicht alles einfacher, aber sie hilft dabei, manche Dinge gar nicht zu einer Enttäuschung werden zu lassen, bei der Andere die Hände überm Kopf zusammenschlagen...
Da gab es tolle Erfahrungen (und nüchtern betrachtet überwiegen diese Erfahrungen) aber auch schreckliche menschliche Enttäuschungen und Verletzungen.
Nur einen Negativfall, den Gravierendsten, möchte ich schildern:
Natalia wurde in den Regelkindergarten hier im Dorf aufgenommen. Nicht selbstverständlich, aber für uns war damals klar: Es wird voraussichtlich die einzige Zeit ihrer Kindheit sein, die sie mit "normalen" Kindern verbringen würde. Eine Regelschule würde aller Voraussicht nach nicht in Frage kommen.
Ein paar Monate nach ihrer Aufnahme in den Kindergarten war ich nachmittags mit ihr bei der Logopädie. Wenige Tage vor Weihnachten, vor ihrem 4. Geburtstag. Als sie dort war, bin ich zwischendurch zum Einkaufen gegangen, und vor mir an der Kasse standen 2 Menschen mit Handycap, die von der Kassiererin mit einer Selbstverständlichkeit und Normalität bedient wurden, die ich bewunderte und die in mir den Wunsch auslösten: "Mann klasse, wenn Natalia auch mal so behandelt wird in der Öffentlichkeit, wenn sie Erwachsen ist, das wäre eine tolle Sache".
Kaum zu Hause angekommen, klingelte das Telefon. Eine Mutter von Kindern, die mit Natalia im Kindergarten waren, war dran (zudem noch eine sehr gut bekannte Familie von uns, damals hätte ich sogar "befreundet" gesagt). Sie machte mir mit direkten Worten klar, dass sie sich wünscht, dass wir Natalia von Kindergarten wegtun und in eine andere Einrichtung geben sollen, denn sie will doch, dass "ihre Kinder mit normalen Kindern zusammen aufwachsen".
Rumms, das hat gesessen. Und wie. So kurz nach diesem positiven Erlebnis an der Kasse, dazu noch von jemandem, von dem man dachte, dass man ihm nahe stehen würde. Ich war dermassen baff, dass ich nicht mal was zu sagen wusste. Wer mich kennt, weiss, dass ich normal nicht um Worte verlegen bin, aber da liefen mir nur noch die Tränen übers Gesicht.
Natalia ging weiterhin dort zum Kindergarten, ich für meinen Teil habe den Kontakt zu der Person abgebrochen und habe für mich nun auch festgestellt, dass ich durchaus auch in der Lage bin, nicht verzeihen zu wollen.
Gut dass nicht alle Menschen so denken...
Natalia schafft es immer wieder, dass ich für mich und das Leben durch sie dazulerne.
So habe ich für mich z.B. gelernt, dass man das Leben nie lange im Voraus planen sollte. Waren vor der Geburt noch die durchaus detaillierte Gedanken da, wie es wohl sein würde, wenn mein Kind Schule, Ausbildung und Beruf in Angriff nimmt, beschäftigen mich heute viel mehr die zeitlich viel näheren Dinge.
Man freut sich, dass sie das Krabbeln beherrscht und denkt dann daran, ob sie das Sprechen und Gehen auch so gut lernen wird?
Dann sieht man erst mal nur die Phase des Kindergartens vor sich. Danach die der Schule. Zumindest bei mir sind hauptsächlich nur die Gedanken wichtig, was in naher Zukunft sein wird. Jetzt, wo ich das hier schreibe, ist sie 11 Jahre alt und ich denke darüber nach, wie es wohl sein wird, wenn sie in die Pubertät kommt.
Weiter denke ich noch gar nicht, denn: Bringt es was? Kann ich planen, was danach sein wird? Ich denke nicht.
Und noch etwas habe ich gelernt durch Natalia: Ich muss niemandem etwas hinterlassen. Egal, was ich ihr hinterlasse, sie wird nichts davon haben. Ziemlich sicher wird ein Vormundschaftsgereicht nachdem ich den Löffel abgegeben habe, die Hand sofort auf allem haben, was ich habe, um es "für sie" zu verwalten. Für Natalia wird es keinen Unterschied machen, ob ich ein Vermögen hinterlasse oder nichts hinterlasse. Das macht viele Dinge aus finanzieller Sicht entspannter :-)
Was kommt? Ich weiss es nicht, ich glaube ich will es jetzt auch gar nicht wissen, aber ich bin mir sicher: Es geht weiter, es wird immer irgendwie weitergehen, wir werden ein schönes Leben zusammen haben und geniessen.
Die gemeinsame Zeit will gut genutzt werden.
Markus Schorr